Wandern. Bei diesem Wort bekomme ich schon ein Stechen in meiner Wade und die Luft wird auch schon dünner.
Wo liegt eigentlich der Unterschied zwischen Wandern und Spazieren?
Aus meiner Sicht ist Wandern vermutlich das neue Trendwort für Spazieren geworden, abgesehen davon, dass es sich einfach nur um ein paar Meter mehr handelt. Genauso wie aus dem Wort echt, authentisch und aus städtisch, urban geworden ist.
Gehen wir doch lieber spazieren durch den Teutoburger Wald und schon hört es sich gar nicht mehr so anstrengend an, oder?
Bei uns im hohen Norden ist es schwierig eine Route zu finden, die einen an Österreich oder der Schweiz erinnert. Mit Bergen, die mehr sind als grün bewachsene Hügel.
Ich habe einen Ort im Norden Deutschlands gefunden, der mehr zu bieten hat, als freie Wiese oder das Watt der Küste.
Von diesem Ort möchte ich erzählen und euch zu der Mutprobe Wandern einladen.
Wir fahren rund 80 km südlich von unserer Heimat Niedersachen in das nicht gerade prominente Ibbenbüren. Dort wartet ein kleiner Ort namens Dörenthe auf uns, welches zu dem nördlichen Teil des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen gehört und angrenzend sich der Teutoburger Wald erstreckt.
Wir haben uns für die 10,6 km lange Strecke mit 190 Höhenmeter entschieden. Eine große Auswahl an Routen nach eurem Geschmack und entsprechender Kondition gibt es bei komoot.com.
Der Startpunkt unserer Route ist an der Kirche in Dörenthe.
Achtung: dieser Ort mit 1390 Einwohner besitzt zwei Kirchen. Die richtige Kirche des Startpunktes liegt an der Moorstraße.
Los geht´s
Mit Rucksack und sportlicher Bekleidung sehen wir aus wie Profis und gehen die ersten Meter entlang der Bahngleise Richtung Wald. Indianer Jones verdächtig laufe ich mit einem Grashalm über die alten Schienen und meine Abenteuerlust steigt in mir auf.
Obstbaummuseum
Der erste Abschnitt und einer der Highlights der Wanderroute ist das Obstbaummuseum, welches durch der Vielfalt der Insekten und Wespen kaum zu überhören ist. Die drapierten Bäume mit Äpfeln, die unter Beschuss von Sonnenstrahlen anfangen zu glänzen, lassen mich in Versuchung verfallen von den Früchten am Wegesrand zu naschen.
Während ich einen Fuß vor den anderen setze, zeigen die Bäume mir den Weg. Ok, die kleinen Schilder am Wegesrand tragen auch ein wenig dazu bei.
Klettern im Teutoburger Wald
Angekommen beim zweiten Highlight der Strecke, dem Königsstein, kann ich meinen Augen nicht trauen. Nicht der wunderschöne Ausblick auf die weite Landschaft unter mir lässt mich staunen, sondern der Blick nach links unten.
„Die klettern hier“, kam es etwas lauter aus meinem Mund geschossen, als geplant. Bei diesem Anblick kam der Wunsch in mir auf, es ihnen gleichzutun.
Entlang des Weges trafen wir des Öfteren Abenteurer, die sich ihrer Adrenalin-Kur unterzogen und die Dörenther Klippen für ihre Microabenteuer nutzten.
Heute musste das Staunen und Begutachten reichen. „Vielleicht aber beim nächsten Mal“, flüsterte meine innere Stimme zu mir und ich nickte.
Rauf und Runter
Nach einer gewissen Anzahl an Kilometern wird es auch bei mir leiser. Innen wie Außen. Dann brauche ich nicht mehr viele Worte, um die Sonnenstrahlen durchs dichte Blätterdach zu verkünden oder den Duft zu erwähnen, der sich aus Holz und Moos durch meine Nase zieht, wie eine Droge.
Ab diesem Zeitpunkt beginnt für mich das Erlebnis „Waldbaden“. Dazu muss ich keinen Baum umarmen oder irgendwelche Regeln befolgen, sondern einfach nur die Schönheit der Natur genießen. Wenn ich zeitgleich mit der Kamera achtsam auch die kleinsten Dinge im Wald einfange, fange ich an die Details zu schätzen und anzuerkennen. Im diesem Wald, wo der Boden unter meinen Füßen plötzlich weich wirkt, die grünen Töne meinen Augen Gelassenheit schenken und die Vögel für meine Ohren ein Konzert geben.
Gut zu wissen:
Forscher haben längst herausgefunden und bestätigt, dass im Wald der Blutdruck und Blutzuckerspiegel sinken und Stresshormone nachlassen. Es wirkt auf unsere Seele wie ein natürliches Antidepressivum.
Das große Highlight
Das dritte und größte Highlight der Route ist für mich die Almhütte. Denn hier erwarten euch wunderschöne, erhöhte Sitzmöglichkeiten, um euren Durst mit einem kühlen, frischen Radler oder Weizenbier zu stillen. Außerdem füllen die angebotenen Bretzeln euren Energiehaushalt wieder auf. Nach einem längerem Marsch, leicht verschwitzt und aus der Puste, kommt uns dieser Punkt der Strecke sehr gelegen. Mit großer Vorfreude sehe ich das Dach der Hütte und mein Verlangen auf ein kühles Getränk steigert sich von Sekunde zu Sekunde, von Schritt zu Schritt. Da ist sie. Die Hütte. Und vor ihr ein Schild:
Geschlossen!
Meine Enttäuschung war riesig. Damit euch dieser Fauxpas nicht passiert, schaut vorher auf der Internetseite der Almhütte vorbei. Die Öffnungszeiten sind jeden Tag von 11:00 bis 18:00 Uhr. Allerdings können wegen dem Coronavirus die Öffnungszeiten momentan variieren. So wie es auch bei uns der Fall war.
Dörenther Klippen mit dem hockenden Weib
Das nächste Highlight ist das hauptsächliche Ziel unseres Weges. An diesem Punkt erwarten uns Klippen im Norden, welche sich mit 4 km und 195 Meter hohen Sandstein-Felsformation durch den Teutoburger Wald ziehen.
Das Wahrzeichen von Ibbenbüren ist das hockende Weib. Der Sage nach erstarrte eine Frau zu Stein, um ihre Kinder vor dem Wasser zu retten.
Durch die Klippen ging es vorbei an Baumriesen und Blick auf Farne wie im Dschungel. Zwischendurch erhaschte ich freie Flächen mit Aussicht auf die Landschaft und Tiere. Diese Abwechslung gab meinen Augen immer wieder neue Reize, sodass es nie langweilig wurde.
Dort passierte es plötzlich: Die Natur, die Kamera und ich wurden eins.
Kriegsgräberstätte
Die Kriegsgräberstätte ist das nächste und letzte Highlight auf unserer Route. Diese wurde 1945 angelegt und pusteten bei 26 Grad mit einem Schlag Gänsehaut auf meine Arme.
Die letzten Meter zurück aus dem Wald bis zu unserem Auto waren begleitet mit einem lachenden und einem tränenden Auge. Traurig, dass es schon vorbei ist und glücklich, dass wir gleich die Schuhe ausziehen können.
Unsere 10 km Wanderung wurde durch ein Fünkchen Orientierungslosigkeit zu einer 15 km Strecke, für die wir ungefähr 5 Stunden gebraucht haben. Wir ließen uns genügend Zeit um es zu einem gemütlichen Spaziergang werden zu lassen.
Das Geschenk des Waldes
- Dieser Wald
- Dieses Wandern
- Dieses Spazieren
- Diese Ruhe
All das lässt mich entschleunigen und frei durchatmen.
Auch wenn die Temperaturen jetzt im Herbst langsam aber sich zurückgehen, werde ich diesen Wald im goldenen Oktober mit Sicherheit wieder einen Besuch abstatten.
Bis bald im Wald,
eure Annika